Carlo Cazals wird am 11.04.1948 als Udo Klein in Hamburg geboren. Sowohl sein Vater als auch sein Großvater waren Seeleute. Zunächst besuchte er die Volksschule in der Jan-Valkenburg-Straße, später die Mittelschule.
„Ich wollte aber nicht lernen und ich konnte auch nicht lernen. Ich bin ja nicht mit nur Jungs zusammen zur Schule gegangen, wie es früher war. Bei uns waren immer auch schon Mädchen in der Klasse, also eine gemischte Schule. Ich saß immer hinten in der letzten Reihe und hab viel geschlafen, weil ich ja schon damals gearbeitet hab, Gitarrenunterricht hatte und andere Hobbys und wie ein Wahnsinniger gebastelt. Ich schlief also, weil ich immer müde war. Ich hab nie Schularbeiten gemacht. Ich hatte immer nur diese Mädchen vor Augen. Die hatten damals schon Seidenstrümpfe an und offene Schuhe und die saßen da vor meinen Augen. Ich saß dahinten und starrte immer nur darauf. Die waren auch besonders hübsch, diese Mädchen. Das war eigentlich der Grund, warum ich nicht gut gelernt habe. Das war alles ganz furchtbar.“
Udo Klein ist extrem schüchtern, träumt jedoch immer davon ein richtiger Cowboy zu sein.
Zu seinem Onkel, Otto Hell, der sehr schöngeistig und kultiviert ist, hat er ein besonders enges Verhältnis. Dieser Onkel animiert ihn zum Singen und nimmt ihn regelmäßig mit auf seine Touren, wenn er verarmten Hamburgern Essenspakete brachte. So lernt Udo schon früh die verschiedenen sozialen Schichten und das Rotlichtmilieu der Hafenstadt kennen.
„Mein Onkel Otto war der Sohn eines saarländischen Gutsbesitzers, der schon früh Fleisch ausfahren musste, weil sie eine Fleischerei mit Hotel und riesigem Bauernhof hatten. Er hatte ein altes Radio und dann für mich Abendbrot gemacht und dann gesagt: So, jetzt hören wir mal Benjamino Gigli. Ich mochte den besonders gerne. Das war ein älterer Mann. Und dann hab ich versucht, aus Leibeskräften den Mann nachzumachen. Obwohl ich als Junge natürlich noch gar nicht die Stimme dazu hatte. Aber selbst in der Carolinenstraße haben die Leute an den Wänden geklebt „Mein Gott, wie hat der wieder gesungen..“ Und dann hat mir mein Onkel die Musikhalle gezeigt. Ich war so 4 Jahre… da waren nur die Reinmachefrauen. Und da hat er gesagt: Da wirst du später mal stehen und singen. Das hab ich dann auch geglaubt. Daneben war ein Gasthaus das gehörte Tante Henne (Henriette G.), das war die schönste Frau Hamburgs. Eigentlich gehörte es ihren Eltern. Die Eltern sind dann gestorben und da ein Offizier Henriette verführt und ihr alles Hab und Gut genommen. Dann ist sie in Valentinskamp gezogen. Da war früher ein Puff, den hab ich auch noch miterlebt. Da hat sie wohl gewohnt. Ob sie denn als schöne Frau dort auch… also ich nehme es an, dass sie diese Existenz übernommen hat. Und mein Onkel hat ihr immer Fettpakete gebracht. Und ich hab miterlebt, wie sie geheult hat und kaputt war, mit ihrem kleinen verlausten Hund Axel.“
Ein Jahr nach dem Tod des Onkel Ottos, kommt Gertrud Pirsch an die Schule in St. Pauli, wo sie aus sozialen Gründen als Lehrerin tätig wird. Sie ist eigentlich Dramaturgin, Journalistin und Kunstbetrachterin. Eines Tages hört sie Udo Gitarre spielen.
„Ich hab also die Sachen von Freddie einstudiert und in der Schule Freddie vorgesungen. Und meine Lehrerin kam rein und ich hörte auf und da sagte sie: Sing mal weiter. Und ich fragte: Noch was? Und da hat sie mich die ganze Stunde singen lassen. Die anderen Schüler waren alle völlig high, auch die Jungs. Und die Mädchen natürlich sowieso.
Nach der Schule kam sie dann zu mir und fragte, willst du nicht Opernsänger werden? Da hab ich gesagt, ich bin doch nicht wahnsinnig. Wie soll ich das denn schaffen? Sie sagte, ich sollte mal zum Unterricht zu ihr kommen. Und so kam das dann alles. Sie hat mich dann begleitet wie kein anderer Begleiter sonst.“
So studiert Udo Klein bei Gertrud Pirsch Gesang und später Malerei. Auch Professor Grimm von der Kunsthochschule Hamburg und Eduard Bargheer, Mitglied der Hamburgischen Sezession, die bei Gertrud Pirsch ein und aus gehen, betrachten und korrigieren seine Werke.
Mit Gertrud Pirsch unternimmt Udo Klein diverse Studienreisen nach Italien und Frankreich.
Vom Armeedienst wird er aufgrund seines Talents und seines Engagements freigestellt.
„Das war nach der Berufsschule. Da bin ich frühzeitig entlassen worden und dann bin ich auch noch von der Bundeswehr freigestellt worden, denn ich hatte ja ganz großartige Zeugnisse, z.B. von Leopold Ludwig (Dirigent, 1908-1979, 1951-1971 Generalmusikdirektor Hamburgische Staatsoper, siehe Wikipedia), da war ja Karajan noch ein Winzling gegen. Der hat mir ein Zeugnis ausgestellt. Und Sebastian Peschko, der größte Liedbegleiter der Welt (1909-1987, Pianist, Begleiter z.B. von Erna Berger, Hermann Prey etc., siehe Wikipedia - Anm. der Autorin), die haben mir das Zeugnis ausgestellt, dass diese künstlerische Arbeit nicht unterbrochen werden darf. Und da haben sich die Offiziere zusammengesetzt und gesagt „Gott, solche Zeugnisse! Kein Mensch will Sie hier haben. Und wenn Sie denn von Italien zurückkommen, dann stellen wir Sie nochmal sechs Jahre zurück. Das ist völlig egal.“
Von 1984 bis 1994 pflegt Udo Klein Gertrud Pirsch bis zu ihrem Tod. Tagsüber kümmert er sich um die todkranke Frau, nachts fährt er als Geldbote durch die Innenstadt Hamburgs und in jeder Stunde Freizeit, die ihm bleibt, malt er wie besessen. Wenn auf seiner Tour Sperrmüll ist, fährt er zum Thalia Theater und hält Ausschau nach ausgemusterten Kulissenwänden. Diese lädt er dann in seinen Geldtransporter und bringt sie in die Wohnung von Gertrud Pirsch - perfekte Malgründe!
Nach dem Tod seiner Lehrerin, Mentorin und Mäzenin, tritt er an verschiedenen Bühnen als Tenor auf, unter anderem im Hamburger Alleetheater und an der Hamburger Kammeroper.
1992 heiratet er Inge Karin, mit der er 2002 in die Mecklenburgische Kleinstadt Parchim zieht. In dem alten unrenovierten Stadthaus wohnt er zwischen Kachelofen und Antiquitäten mit ihr und einem sehr großen Hund. Zunächst mit einem Rottweiler, dann mit einem Cane Corso und zum Schluss teilt er sein Bett mit einer verspielten Dogge. Sein Wohnzimmer ist eine sorgfältig arrangierte Komposition. Wenn Besuch kommt, trägt Udo Klein, der inzwischen seinen Künstlernamen Carlo Cazals angenommen hat, eine Mönchskutte und der Ofen wird angeheizt - sonst nicht. Die Jacken und Taschen seiner - sehr seltenen - Besucher in seinem Wohnzimmer beäugt er missmutig, da sie sein ästhetisches Empfinden stören.
Er malt nach wie vor wie besessen, oder besser gesagt: Es malt ihn. Ob es ihn erleichtert, das Malen? Ist es ein Ventil für sein Seelenleben?
„ Bin ich erleichtert nach dem Malen…? Nein, denn dann kommt die Kritik und sagt, was hast du jetzt gemacht? Wenn es einigermaßen war, ist gut. Dann ging aber jahrelang die Umänderung los. Selbst auf einem Blatt wird immer wieder gekämpft, weil du gemerkt hast, was es ja auf der Welt an großen Kunstwerken gibt, das hat man mir ja gezeigt.
Und dann denk ich: Da kommt das noch nicht ran. Aber auf jedes deiner Bilder guckt ja nicht ein Fremder drauf, sondern dann ist das ja quasi auch dein eigener Anspruch, dass du im Grunde nie zufrieden bist und deswegen nie diese Erleichterung hast. Wenn du malen würdest und es wäre sofort in deinen Augen perfekt, das wäre etwas anderes. Aber das kommt wahrscheinlich nicht vor. Es hat mit Intelligenz zu tun. Und diese künstlerische Intelligenz kannst du aber auch gar keinem erklären, weil sich keiner um dich kümmert.
Aber eine Erleichterung ist es im Grunde vielleicht doch, indem du sagst, ja du bist irgendwie weitergekommen. Aber weiterkommen, das ist... kommen, aber eben nicht ankommen.“
Von 2015 bis 2020 schlüpft Carlo Cazals noch einmal in die Rolle des Pflegers, holt seine bettlägerige Mutter zu sich ins Haus und pflegt sie bis zum Tode. „Große Kunst entsteht nur durch selbst erlebtes Leiden.“ So ist seine aufopfernde Tätigkeit auch gleichzeitig Quelle der Inspiration, ein Pflegedienst kommt für ihn nicht in Frage.
„Ja, als es drauf ankam, war ich für sie da. Jeden Tag! Wenn du das erlebt hättest. Die hat nur noch… es kam nur noch hinten raus. Ich bin ein Oberexperte… Du kannst dir das nicht vorstellen. Ich hab nur noch den Hintern erhalten.. Damit sie nicht durchliegt. Ich hab dann wieder viel gefressen, weil ich die Kraft brauchte, um sie umzubetten. Jetzt brauch ich die Kraft nicht mehr, jetzt geht es mir schlechter. Ich hätte sie noch bis Hundert gepflegt.
Aber jetzt bin ich schwach, fast am Umkippen. Kann schon nicht mehr richtig sprechen. Aber naja so ist das.“
Nach dem Tod seiner Mutter verliert Carlo Cazals seinen Lebenswillen, baut mental und körperlich immer weiter ab.
Am 24. Mai 2022 stirbt Carlo Cazals in seinem Haus in Parchim, wo seine Frau ihn bis zum Schluss liebevoll umsorgt und pflegt.
*Die Zitate sind aus diversen Tonbandaufnahmen entnommen, die Britta Kremke über mehrere Jahre mit dem Künstler aufgezeichnet hat.
Onkel Otto
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